Eine Stadt am Rande des Ruhrgebiets, die dem Ende des Kohleabbaus mit frischen Ideen begegnet. Marketing-Maßnahmen sind nur das i-Tüpfelchen, um den starken Willen nach einem langfristig attraktiven Image bekannter zu machen. Ein Beispiel, wie Politik und Unternehmen an einem Strang ziehen.

Der Ruhrpott ist nicht nur größter urbaner Ballungsraum Europas. Er bietet durch die große Ortsvielfalt auch viele erholsame Ecken – zum Beispiel in Kamp-Lintfort. Bürgermeister Prof. Dr. Christoph Landscheidt ist treibende Kraft, wenn es um die langfristige Stadtentwicklung geht. Im Marketing im Pott-Interview verrät er, wie er mit gutem Beispiel vorangehen möchte.

Was schätzen Sie besonders an der Stadt Kamp-Lintfort, was zeichnet sie aus?

Prof. Dr. Christoph Landscheidt, Bürgermeister der Stadt Kamp-Lintfort. Foto: Stadt Kamp-Lintfort

Prof. Dr. Christoph Landscheidt, Bürgermeister der Stadt Kamp-Lintfort. Foto: Stadt Kamp-Lintfort

Christoph Landscheidt: „Wir liegen im Herzen des Niederrheins am Rande des Ruhrgebiets. Ein Ziel ist es, diese beiden Stärken optimal zu nutzen. Einerseits als attraktiver Wohnstandort im Grünen, andererseits als gefragte Logistikdrehschreibe, mit Logport IV einen “Steinwurf” entfernt vom größten Binnenhafen Europas in Duisburg. Mit der internationalen Hochschule Rhein-Waal mit über 2.000 Studierenden sind wir innovatives Zentrum von Forschung, Lehre und Wissenschaftstransfer geworden.“

Kamp-Lintfort war ein Jahrhundert lang stark vom Bergbau geprägt – bis das Bergwerk West Ende 2012 die Pforten geschlossen hat. Das Bewusstsein über die Kohletradition bleibt in der Bevölkerung stark präsent. Wie äußert sich das?

Christoph Landscheidt: „Im Zuge der Revitalisierung des Bergbaugeländes zu einem neuen Stadtteil entsteht ein Familien-, Bildungs- und Kulturzentrum. Es wird ein Informationszentrum im umgebauten Pumpenhaus geben. Darüber hinaus ein kleines Bergbaumuseum, das “Haus des Bergmanns”, einen authentischen Lehrstollen und die beiden historischen Fördertürme. Für deren Erhalt haben sich die Bürgerinnen und Bürger in einem Bürgervotum ausgesprochen; ein solches hat es landesweit bisher nicht gegeben. Einer der Türme wird Aussichtsplattform der Landesgartenschau sein.“

Der Strukturwandel ist für die gesamte Kohleregion im Ruhrgebiet eine große Herausforderung. Welche Schritte haben Sie als Bürgermeister veranlasst, um den Wandel in Kamp-Lintfort zu stärken?

Christoph Landscheidt: „Das Ende des Bergbaus ist nicht über Nacht gekommen. Wir wussten seit Anfang der Neunzigerjahre, dass der Bergbau ein Ende haben würde. Wir haben frühzeitig in enger Kooperation mit unseren Nachbarstädten, die dasselbe Schicksal vor Augen hatten, und mit Hilfe der Landesplanung Flächen für mittelständische Unternehmen mobilisiert. Hier sind in den letzten 20 Jahren hunderte von Arbeitsplätzen entstanden. Die Gründung der Wirtschaftsförderung Wir4 mit Moers, Neukirchen-Vluyn und Rheinberg war ein wichtiger Schritt. Meilensteine waren die Ansiedlung der Hochschule Rhein-Waal und die erfolgreiche Bewerbung für die Landesgartenschau 2020. Auch die mehr als 10-jährige hartnäckige und jetzt erfolgreiche Arbeit am Bahnanschluss für Kamp-Lintfort gehört dazu.“

Durch welche Anreize soll die Stadt Unternehmer anziehen? Wie tragen diese dazu bei, Kamp-Lintfort nach dem Wegfall des Bergbaus zu einem positiven Wirtschaftsstandort zu entwickeln?

Christoph Landscheidt: „Die gute Seite des späten Endes des Bergbaus ist, dass die Stadt Kamp-Lintfort über ein beachtliches Potential an Industrie- und Gewerbeflächen verfügt, die mithilfe des Landes mittelfristig mobilisiert werden können. Wir reden über insgesamt ca. 170 ha. Die ideale Lage an den Autobahnen A 57, A 42 und A 40 machen Kamp-Lintfort zu einem Premium-Standort, wie Logport IV bewiesen hat. Unsere Verwaltung garantiert zudem alle Genehmigungsverfahren in kürzest möglicher Zeit. Auch das ist für ansiedlungswillige Unternehmen ein wichtiger Aspekt!“

Sie haben die Hochschule und die Landesgartenschau 2020 (LAGA) angesprochen. Welche Ziele verfolgen Sie dabei?

Christoph Landscheidt: „Schon heute profitieren zahlreich Wirtschafts- und Dienstleistungsunternehmen der Region von den Forschungsaktivitäten der Hochschule. In unserem Technologiezentrum bieten wir zudem Start-ups einen attraktiven Start in die Selbständigkeit. Erste Unternehmensgründungen ehemaliger Studierender haben bereits stattgefunden. Außerdem verändert sich das Stadtbild spürbar, wenn während des Semesters über 2000 Studierende die Stadt bevölkern.

Die LAGA ist für uns “grüner Motor der Stadtentwicklung”. Mit ihrem Hebel bringen wir in der Summe mehr als 50 Millionen Euro öffentlicher und privater Investitionen in die Stadt. Auf dem ehemaligen Bergwerksgelände, dem zentralen Ausstellungsgelände, entsteht nach der LAGA ein neuer Stadtteil mit einem riesigen Park und attraktiven Wohnbereichen. Ohne die Landesgartenschau hätten wir die 40 ha große Industriebrache im Herzen der Stadt niemals so schnell revitalisieren können.“

  • Auf dem ehemaligen Zechengelände entsteht ein neuer Stadtteil mit dem historischen Namen des Gründers der ersten Zeche „Friedrich Heinrich“.
  • Die denkmalgeschützten Bergbaugebäude werden für attraktives Loft-Wohnen und Gastronomie, für eine Kindertagesstätte und ein Familien-, Bildungs- und Kulturzentrum genutzt.
  • Ein großes denkmalgeschütztes Gebäude beherbergt bereits eine Außenstelle der Hochschule.
  • Daneben entstehen neue Gebäude, wie zum Beispiel ein innovatives sogenanntes Green Fablab der Hochschule Rhein-Waal, das nach dem Institut in Barcelona zweitgrößte dieser Art.
  • Darüber hinaus wird ein erlebnispädagogisches Zentrum auf dem Landesgartenschau-Gelände neu gebaut.

Auf der ehemaligen Kohlenlagerfläche des Bergwerks West in Kamp-Lintfort entstand ein neues Industriegebiet namens Logport IV. Das Gelände ist seit Ende 2016 vollständig vermarktet. Das gesamte Logport-Konzept ist ein Teil des Strukturwandels in der Rhein-Ruhr-Region und entwickelt brachliegende Industrieflächen zu modernen Logistikarealen, größtenteils mit bimodalem Anschluss.

In welchen Kanälen und mit welcher Marketingstrategie geht Kamp-Lintfort die LaGa an?

Christoph Landscheidt: „Für das Marketing für eine solche Großveranstaltung mit wahrscheinlich mehr als 500.000 Besuchern muss man heute Profis engagieren. Das haben wir gemacht. Neben der klassischen Zielgruppe, der an Landschafts- und Gartenbauinteressierten, werben wir vor allen Dingen um Familien, die einen erlebnisreichen Tag an außergewöhnlichen Orten erleben wollen.

Beworben wird die Laga auf allen verfügbaren Kanälen. Ein besonderer Sympathieträger ist unser Laga-Maskottchen “Kalli”, ein kuscheliges überdimensionales Erdmännchen in Bergmanns-Kluft, das aus einem Bürgerwettbewerb hervorgegangen ist. Der Laga-Förderverein hat schon jetzt fast 700 Mitglieder, die sich als Botschafter der Laga verstehen und zu denen viele örtliche Unternehmen gehören. Die Besucher aus nah und fern werden ein dynamisches Mittelzentrum mit einer lebendigen Industriekultur erleben, das sich erfolgreich auf den Weg gemacht hat, seine Zukunft vor allem in Bildung, Forschung und Logistik zu finden.“

Kamp-Lintfort ist eine von vielen Städten rund um den Pott, denen allen mit dem besiegelten Ende des Bergbaus ähnliche Herausforderungen bevorstehen. Welche Top 3 Tipps würden Sie diesen mit auf den Weg geben? Haben Sie ein Patentrezept?

Christoph Landscheidt: „Ein Patentrezept gibt es nicht. Wichtig ist sicherlich:

  1. Bürgerinnen und Bürger mitzunehmen, für Ideen zu begeistern und sie in jedem Stadium zu beteiligen.
  2. Eine enge Kooperation mit allen Akteuren vor Ort, in der Nachbarschaft und auf Landesebene.
  3. Wie überall im Leben: Mut und Zuversicht. Es darf auch einmal etwas schiefgehen.“

Und zuletzt: Was wünschen Sie sich von Unternehmern, Bürgern und der Politik, um die Chancen des Wandels voll ausschöpfen zu können?

Christoph Landscheidt: „Ich wünsche mir von allen Beteiligten ein aktives Engagement in der Stadtgesellschaft im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Wer nur auf den Zuschauerrängen sitzt und meckert, bewirkt nichts.“

Vielen Dank für das Interview!

Den Wandel von Kamp-Lintfort hat auch der Regionalverband Ruhr mit seiner Kampagne Stadt der Städte begleitet: