Als Stadtmarketing steht man vor ganz anderen Herausforderungen als die Marketingabteilungen von großen Unternehmen. Im letzten Jahr habe ich bereits über die etwas außergewöhnlichen Aufgaben des Stadtmarketings in Mülheim berichtet.

Zum Thema Stadtmarketing habe ich mich dann weiter umgesehen und bin auf den Stadtteilwettbewerb in Bochum gestoßen. Dazu konnte ich ein Interview mit Herrn Christian Gerlig, Leiter Kommunikation bei der Bochum Marketing GmbH, und dem Projektleiter des Stadtteilwettbewerbs, Herrn Franz Wallmeyer, führen.

Herr Gerlig, den Stadtteilwettbewerb gibt es in Bochum bereits seit 2008. Wie kam es ursprünglich zu der Idee, einen solchen Wettbewerb auszuschreiben?

Interviewpartner: Christian Gerlig

Interviewpartner: Christian Gerlig

Christian Gerlig: „Eine Stadt wird erst dann lebenswert, wenn auch die Stadtteile funktionieren. Deshalb haben wir es uns zur Aufgabe gemacht, mit dem jährlich ausgeschriebenen Stadtteilwettbewerb Hilfe zur Selbsthilfe anzubieten bzw. zu initiieren.

 

Kontakte knüpfen, Netzwerke aufbauen, Informationen austauschen, neue Ideen fördern und Projekte umsetzen – alles für mehr Qualität in den Stadtteilen und ein breiteres Angebot, dass ist die Idee hinter dem Stadtteilwettbewerb.

Das Stadtmarketing in Bochum hat sich in vielen Stadtteilen als Impuls für Ideen und Projekte bewährt. Wir übernehmen dabei gerne die Rolle eines Ideenfinders und Impulsgebers.“

Herr Wallmeyer, Sie sind Projektleiter in der Abteilung Stadtmarketing für den Wettbewerb,  wer kann alles teilnehmen und wie läuft der Wettbewerb genau ab?

Interviewpartner: Franz Wallmeyer

Interviewpartner: Franz Wallmeyer

Franz Wallmeyer: „Das Wettbewerbskonzept sieht vor, Bochumer Stadtteile über Impulsprojekte zu fördern, die im Wettbewerb durch eine Jury, bestehend aus dem Einzelhandelsverband Ruhr-Lippe e. V., den Bezirksbürgermeisterinnen/-meistern und der Bochum Marketing GmbH, ermittelt werden. Die Projekte müssen eine besondere Wirkung in der Wahrnehmung und Entwicklung der Zentren erzielen können. Weitere Voraussetzungen sind, dass Neues geschaffen und eine nachhaltige Weiterentwicklung des jeweiligen Stadtviertels verfolgt wird. Bewerben kann sich grundsätzlich jeder – alleine oder als Interessengemeinschaft.

Bewerbungsschluss ist in der Regel Mitte November. Beim Stadtteilwettbewerb stehen Projektideen zur Stärkung der Stadtteilzentren im Mittelpunkt. Entsprechend offen sind die Ausschreibungskriterien. Mitmachen kann jeder. Es muss aber ein Wettbewerbsbeitrag schriftlich eingereicht werden. Dieser sollte die Projektidee und ein Konzept beinhalten, Projektverantwortliche und die beteiligten Akteure nennen sowie einen Kosten- und Zeitplan enthalten.

Bochum Marketing stellt ein Gesamtbudget als Wettbewerbsfonds zur Verfügung. In den vergangen Jahren lag dieses bei 15.000 Euro p. A. Die Finanzierung der Wettbewerbsprojekte wird im Sinne einer Public Private Partnership (PPP-Verfahren) organisiert. So muss zu jedem Projekt mindestens ein 50-prozentiger Eigenanteil aufgebracht werden und die Projektumsetzung muss dann bis spätestens Ende des darauffolgenden Jahres erfolgen.“

Können Sie sagen, wie die Resonanz in den letzten Jahren gewesen ist? Gab es viele Anmeldungen?

Christian Gerlig: „Eingereicht wurden Projekte von Privatpersonen, Werbegemeinschaften, Vereine, Schulen sowie Kultureinrichtungen. Die Ideen waren bisher immer sehr vielfältig. Die inhaltliche Ausrichtung der Projekte reichte von Beschilderungen des Stadtteilzentrums über Gestaltungsvorschläge und Fachmessen bis hin zu sozialen Schulprojekten zur Migrantenförderung und einer Dokumentation von Stadtteilgeschichte auf dem Bürgersteig.

Stadtteilgeschichte auf dem Boden geschrieben

Hier wurde die Stadtteilgeschichte auf einem Bürgersteig dokumentiert. Foto: Bochum Marketing GmbH

Eingereicht wurden auch Konzepte mit sozio-kultureller Ausrichtung, Ideen für neue Veranstaltungsformate, Vorschläge zur Verbesserung der Infrastruktur oder Maßnahmen zur gestalterischen Aufwertung im Stadtteil, Konzepte mit sportlicher Ausrichtung sowie eine Idee zur Organisation eines großen Automarktes.

Seit 2008 wurden insgesamt 89 Projektideen eingereicht und 51 wurden davon prämiert und damit finanziell unterstützt.“

Herr Wallmeyer, welche Projekte konnten bereits über den Stadtteilwettbewerb realisiert werden? Können Sie uns von ein paar Erfolgsgeschichten berichten?

Franz Wallmeyer: „Ja, die gibt es und sogar reichlich. Zum Beispiel im Bereich Architektur und Geschichte: Mit Unterstützung durch den Stadtteilwettbewerb, hat die Initiative „Langendreer hat’s!“ für besondere Häuser in Langendreer Hausschilder mit Fotos, Abbildungen und Informationstexten unter dem Motto „Haus mit Geschichte“ erstellt. So erfahren Bewohner und Besucher wissenswertes zur Historie des Stadtteils.

Gelbes Eckhaus in Bochum

An diesem Haus in Bochum-Langendreer wurden Schilder angebracht. Foto: Bochum Marketing GmbH

An rund 20 Gebäuden wurden Informationstafeln angebracht, die über Architektur und Geschichte der Häuser Auskunft geben. Schilder wurden u. a. im Ortsteil Alter Bahnhof (Wartburgstr. 3 und Ümminger Str. 2b) angebracht. Mit dem Wettbewerbsfond und dem Eigenanteil der Initiative, konnten die Anschaffungskoten für die Gestaltung der Schilder und die Anbringung an den Gebäuden sichergestellt werden. Das Projekt wurde mit 900 Euro im Rahmen des Stadtteilwettbewerbs gefördert.

Hausschild mit entsprechender Geschichte darauf

Durch den Wettbewerb konnten diese Schilder angebracht werden. Foto: Bochum Marketing GmbH

Bereich Projekt gegen Antiziganismus: Der Bochumer Kulturrat, hat am 9. und 11. Juli 2015 das Gypsyfestival „Nadeshda“  (Russisch = die Hoffnung) veranstaltet und informierte damit über Sinti und Roma in Deutschland. Es spielten vier bekannte Ensembles des Genres Jazz. Begleitend fanden Diskussionsrunden und Filmvorführungen statt, die über das Leben der Sinti und Roma aufklärten. Mit der Prämierung durch den Stadtteilwettbewerb, konnte ein Teil der Technik-, Logistik- und Programmkosten gefördert werden. Das Ziel des Festivals war es, eine Begegnung mit den Musikern herbeizuführen, um so eine Verständnis und Toleranz für die Kultur zu erreichen. Das Projekt wurde mit 2.350 Euro im Rahmen des Stadtteilwettbewerbs gefördert.

Ein weiteres gelungenes Projekt aus dem Online-Bereich ist die Webseite stadtteilschreiber.de – Stadtteilübergreifend ist das Projekt der Autorin Dorte Huneke-Nollmann, die für Menschen aus Bochumer Stadtteilen vier Workshops anbietet. Sie gibt ihre Erfahrungen als Bloggerin des Westends weiter. Mit dem Projekt  sollen Menschen ermutigt werden, als Stadtteilschreiber über ihr Quartier in Text, Bild, Video oder Ton zu berichten. So soll die Identität einzelner Stadtteile durch persönliche Eindrücke und Geschichten authentisch erzählt werden. Das Projekt wurde mit 3.200 Euro im Rahmen des Stadtteilwettbewerbs gefördert.

Nachdem 2012 Kinder und Künstler gemeinsam die zugemauerten Fenster an der Außenfassade der Bezirksmusikschule in Linden mit musikbezogenen Motiven gestaltet hatten, wurde die Bezirksmusikschule mit ihrer Idee der Illuminierung des Gebäudes zur besseren Wahrnehmung am Abend im Jahr 2013 erneut beim Stadtteilwettbewerb prämiert. Die Installationen der illuminierten Motive an den Fenstern sind nun auch bei Dunkelheit zu sehen.

Fenstermotive der Musikschule Linden

Diese illuminierten Motive lassen die Musikschule in Linden aufleuchten. Foto: Bochum Marketing GmbH

Natürlich wurden noch viele weitere tolle Projekte in den letzten Jahren prämiert, die hier nicht einzeln alle genannt werden können.“

Auch in diesem Jahr findet der Wettbewerb wieder statt. Bewerbungen konnten bis zum 07.11.2016 eingereicht werden. Können Sie uns schon etwas zu der Anzahl der Bewerber verraten?

Christian Gerlig: „Insgesamt sind zehn interessante Bewerbungen eingegangen. Am  19. Dezember 2016 fand die Jurysitzung statt. Die Jury sichtete und bewertete alle eingegangenen Bewerbungen, um die Einreichungen zu prüfen und Projekte zu prämieren.

Beim Stadtteilwettbewerb 2016 der Bochum Marketing GmbH wurden sieben Projekte aus sechs Bochumer Bezirken prämiert. Der Wettbewerbsfonds wurde unter den prämierten Ideen zwischen 920 und 3.700 Euro pro Projekt aufgeteilt.

Vom Straßenfest und Kunstfestival über Film- und Literaturprojekte bis hin zur Einrichtung von Treffpunkten und dem Anbringen von Vogelhäusern sind Konzepte dabei. So können sich die Bochumer im Jahr 2017 auf spannende Stadtteilprojekte und Veranstaltungen freuen.

Prämierte Projekte 2016

  • Im Stadtteil Langendreer will der Stadtteilverein „Langendreer hat’s!“ e. V. ein Filmprojekt über die Geschichte, Gegenwart und die Entwicklungen in der Zukunft Langendreers realisieren. Die Stärken sowie die Profilierung des Stadtteils und die Präsentation im öffentlichen Raum sollen so ermöglicht werden. Nach gemeinsamer Arbeit aller Beteiligten an dem Projekt wird der fertige Film auch der Öffentlichkeit präsentiert. Ziel des Projekts ist, sowohl für Identitätsstiftung der Bewohner Langendreers zu sorgen, als auch das Interesse von Besuchern an Langendreer als geschichtsträchtigen Ort, Lebens- und Wohngebiet zu steigern.
  • Die Werbegemeinschaft Linden e. V. will für „Bevölkerungszuwachs“ im Stadtteil sorgen. Bei dem prämierten Projekt „Nestbau“ werden Vogelhäuser im Stadtteil Linden angebracht, die den neuen gefiederten Einwohnern Wärme und eine Heimat bieten. Die Vogelhäuser werden in Behindertenwerkstätten gebaut und zusammen mit örtlichen Kindergärten, Schulen und Vereinen gestaltet und bemalt. Das Projekt hat zum Ziel, die Wahrnehmung Lindens als Ortskern zu stärken. Die Bürger und Händler des Viertels werden aktiv in die Umsetzung eingebunden.
  • Im Stadtteil Gerthe soll es ab 2017 jeden Samstag einen „Kaffee anne Bude“ geben. Die Projektgruppe „Schöner Leben in Gerthe“ konnte die Jury davon überzeugen, ihre Idee, die Einrichtung eines Treffpunkts in Gerthe für Jung und Alt, zu fördern. Mit der finanziellen Unterstützung werden Tische, Bänke, Sonnenschirme etc. angeschafft. Auf dem Samstagsmarkt in Gerthe werden dann Kaffee, Tee, belegte Brötchen, selbstgemachte Kuchen u. a. für kleines Geld angeboten. Dieser Treffpunkt dient auch dazu ins Plaudern zu kommen und seine Nachbarn besser kennenzulernen.
  • Viel vorgenommen haben sich die Veranstalter des WRIGHT Urban Art Festival Bochum. Ab Anfang des Jahres sollen zehn temporäre Installationen und Ausstellungen für jeweils einen Monat eingerichtet werden. Der Fokus liegt auf leerstehenden Objekten in Bochum. Diese werden so in künstlerischer Form wiederbelebt. Der öffentliche Raum der Stadt wird zur Ausstellungsfläche junger kreativer Künstler der lokalen und internationalen Szene. Im Sommer ist ein einwöchiges urbanes Kunstfestival geplant. Anwohnern und Besuchern wird Bochum als Ort der Kultur- und Kunstvermittlung näher gebracht. Interkulturelle Begegnungen zwischen den Künstlern untereinander aber auch ein offener Kontakt mit den und Beteiligung durch die Besucher stehen im Mittelpunkt.
  • Im Bochumer Süden im Stadtteil Wiemelhausen wurde das Borgholzstraßenfest 2017 gefördert. Nach einem erfolgreichen Straßenfest 2015 wird die Anwohnergemeinschaft im kommenden Jahr wieder eine Veranstaltung für Bewohner, Freunde, Familien und Besucher organisieren. Die finanzielle Unterstützung der Bochum Marketing GmbH fließt in die Planung und Umsetzung eines Flohmarktes sowie musikalische Beiträge und andere Attraktionen für Kinder, Jugendliche und Erwachsene am Tag des Straßenfestes.
  • Ebenfalls prämiert wurde die von Dorte Huneke-Nollmann und den Westendakteuren eingereichte Projektidee der Publikation von Texten, verfasst von geflüchteten Frauen im Bochumer Westend. Die Bochumer Autorin unterstützt die Frauen mit Fluchthintergrund bei dem Verfassen der persönlichen Texte. So entstehen Geschichten, Briefe, Gedichte, Interviews u. a., in denen die Frauen von ihrem Leben in Bochum, Erinnerungen an die Heimat, Gedanken über die Rolle von Mann und Frau, Kunst, Religion, Humor und Krieg berichten. Die Sammlung der persönlichen Texte wird mit Hilfe der finanziellen Unterstützung aus dem Wettbewerbsfonds über Schreibwerkstätten im Westend publiziert. Es geht bei dem Projekt vor allem darum, den Frauen die Möglichkeit zu eröffnen selbst am gesellschaftlichen Diskurs teilzunehmen, gewohnte Perspektiven aufzubrechen und mit interessierten Lesern auf Augenhöhe in einen Dialog zu treten. Nach Fertigstellung wird die Publikation bei einer öffentlichen Veranstaltung präsentiert.
  • Nach der erfolgreichen Bewerbung und Umsetzung einer Boulebahn in Bochum-Gerthe im vergangenen Jahr, haben sich das Seniorenbüro Nord + Quartiertreff 55+ erneut beim diesjährigen Stadtteilwettbewerb beworben und eine Förderung erhalten. In der „Bibliothek der Dinge – Leihladen“ sollen zukünftig wie in einer Bücherei Gegenstände zum Ausleihen angeboten werden. Dinge des nicht alltäglichen Gebrauchs wie Gartengeräte, Grills, technische Geräte, Ausrüstung für eine Renovierung etc. können hier zur Verfügung gestellt und ausgeliehen, anstatt neu gekauft, werden. Zusätzlich stellt die „Bibliothek“ einen Begegnungsort im Quartier dar.“

Welche Bedeutung hat der jährliche Wettbewerb für das Stadtmarketing in Bochum, Herr Wallmeyer?

Franz Wallmeyer: „Der Stadtteilwettbewerb hat für Bochum Marketing vielfältige Bedeutung. Er hilft dabei das sogenannte Stadtteilmarketing auf die gesamte Stadt auszudehnen, die entsprechenden lokalen Ansprüche aufzugreifen und auch entsprechende politische Anforderungen zu befriedigen. Insofern ist er mit den inhaltlichen Sachverhalten auch ein hilfreiches Instrument im Gesamtkomplex Stadtmarketing geworden.

Der Stadtteilwettbewerb der Bochum Marketing GmbH hat sich in den letzten Jahren zu einem festen Bestandteil der Gesellschaft etabliert. Jährlich werden spannende und innovative Projektvorschläge eingereicht. Es geht in erster Linie darum, den Bürgern die Chance zu ermöglichen, mit ihren Projektideen die Identität der einzelnen Quartiere zu präsentieren und Netzwerke zu stärken. So können sich Vereinen, Organisationen, Privatpersonen etc. auch kollektiv um finanzielle Unterstützung einer Idee bewerben, um das gemeinsame Engagement für eine Sache zu unterstreichen.

Als Ideen- und Impulsgeber sieht es die Bochum Marketing GmbH als wichtig an, Projekte in den verschiedenen Bochumer Stadtteilen auf den Weg zu bringen und bei der Umsetzung behilflich sein zu können.“

Vielen Dank für dieses interessante Gespräch und allen prämierten Projekten viel Erfolg für die Umsetzung in diesem Jahr!

Die Idee, einen Wettbewerb auszurufen und dadurch die Bürger der Stadtteile an der Gestaltung Ihres Wohnortes mit einzubeziehen, hat mich persönlich sofort gefesselt. Die Erfolgsgeschichten der letzten Jahre, aber auch die frisch prämierten Projektideen, zeigen, wie groß das Engangement in den Stadtteilen ist.

So kann Stadtmarketing auch funktionieren und ich glaube, dass sich jedes Unternehmen davon ebenfalls etwas abgucken kann. Beziehen Sie die Wünsche und Ideen Ihrer Kunden doch mal in die nächste Produktplanung mit ein. Ich bin mir sicher, dass dabei auch etwas Gutes rumkommt.