Wir schreiben den 20. August 2016, nachdem der 1. Kioskclub 06 e.V. das „Jahr der Trinkhalle“ ausgerufen hat, findet deutschlandweit der 1. Tag der Trinkhallen statt. Im Ruhrgebiet locken gleich mehrere Veranstaltungen rund um den Mythos Bude in die Region.

Die Geschichte der Trinkhallen begann im 13. Jahrhundert in Persien, Indien und dem osmanischen Reich, wobei es sich anfangs nur um den Ausschank von Wasser drehte. Erst im 19. Jahrhundert entwickelte sich die Trinkhallenkultur zunehmend in Europa. Dabei rückte der Verkauf von Süßwaren, Getränken und Zeitungen in den Vordergrund. Aktuell gibt es mehr als 1000 Buden im Ruhrgebiet. Durch den hohen Wettbewerb mit Lebensmittelgeschäften etablieren sich Begriffe wie Kiosksterben. Trotz alle dem steht das kleine Büdchen an der Ecke, wie kaum eine andere Institution für die Lebensweise der Menschen im Ruhrgebiet.

Am 1. Tag der Trinkhallen verwandelten sich die kleinen Kioske zu außergewöhnlichen Eventlocations und zeigten so die Einzigartigkeit des Ruhrgebietes und ihrer Menschen. Sei es eine Oldtimer Budentour, Sonderausstellungen in Industriemuseen oder eine Kioskwallfahrt die sich durch eine äußerst erlebnisreiche und  regionstypische Stadtführung auszeichnet, bei der die Büdchen die Knotenpunkte darstellten.

Make Ruhrgebiet Great Again

Federführend für das Projekt ist die Ruhr Tourismus GmbH. Neben dem Tourismusmarketing ist die Gesellschaft außerdem als Reiseveranstalter tätig. Im Auftrag der Metropole Ruhr agiert die Ruhr Tourismus GmbH als Koordinierungsstelle und ist zuständig für das touristische Regionalprofil, Produktentwicklung, Marketing und Vertrieb.

Um über das Projekt Tag der Trinkhallen mehr zu erfahren, habe ich für meinen Blog mit Herrn Axel Biermann, dem Geschäftsführer der Ruhr Tourismus GmbH gesprochen:

Herr Biermann wie kamen Sie und Ihr Team auf die Idee, die Trinkhalle sinnbildlich für das Ruhrgebiet zu nutzen?

Axel Biermann: „Lange führte das „kleine Büdchen umme Ecke“ ein Schattendasein, wenn überhaupt
wahrgenommen als Notversorgung für Bier und Zigaretten oder für einen schnellen Kaffee plus Brötchen am frühen Morgen. Wer im Ruhrgebiet lebt, der weiß, dass die Trinkhallen – und ihre Inhaber – eine wichtige soziale Funktion einnehmen. Durch die rund um die Uhr geöffneten Tankstellenshops und das erweiterte Ladenschlussgesetz mit Öffnungszeiten bis Mitternacht erwächst den Trinkhallen jedoch zunehmend Konkurrenz. 150 Jahre nach dem Entstehen der ersten Trinkhallen im Ruhrgebiet sollte daher dieser Kiosk-Kultur durch das Jahr der Trinkhalle ein Zeichen gesetzt werden.“

Viele Menschen die auf Getränkekästen vor den Buden sitzen.

2016 BlauesBuedchen DU © RTG Lamozik

Ich selbst bin mit der klassischen Bude an der Ecke aufgewachsen. Mein Stamm Büdchen versorgtemich mit Süßigkeiten, Wassereis, aber auch mit Frikadellen in Brötchen. Wie ist Ihre Verbundenheit mit der Trinkhallenkultur?

Axel Biermann: „Ich bin in Stuttgart aufgewachsen und da gibt es kaum Büdchen. Wir haben uns als Kinder “etwas zum Schlecken” – so heißt das im Schwäbischen- beim nächsten Bäcker gekauft. Der hatte immer eine Riesenauswahl, wahrscheinlich, weil es keine Büdchen gab. Normalerweise habe ich immer 50 Pfennig von meiner Mutter bekommen, um mir etwas zu kaufen. Wenn sie richtig großzügig war, gab es auch mal eine Mark.

Seitdem ich im Ruhrgebiet wohne, habe ich natürlich keine Probleme mehr, eine Bude zu finden. Drei Minuten zu Fuß von meinem Haus entfernt gibt es eine richtig tolle Trinkhalle, bei der man fast alles bekommt. Ich hole dort am Wochenende immer die Brötchen – natürlich auf Vorbestellung. Als Langschläfer gehe ich da kein Risiko ein. Nachher sind schon alle Croissants weg. Man ist dort natürlich persönlich bekannt und erfährt alles, was so aktuell ist.“

Welches Ziel verfolgen Sie mit der Ruhr Tourismus GmbH bei dem Projekt „Tag der Trinkhallen“? Steht der Umsatz oder doch eher die Verbesserung des touristischen Regionalprofils im Vordergrund?

Axel Biermann: „Ganz klar die Verbesserung des touristischen Regionalprofil und das Image der Metropole Ruhr! Wir haben fünf Millionen Botschafter, die Menschen, die hier leben. Wenn sie Dinge erleben, die ihrer ehrlichen, offenen und toleranten Art zu leben, entsprechen, identifizieren sie sich damit und kommunizieren es mit Stolz über die Region hinaus.“

Sänger der vor vielen Leuten auf der Bühne sitzt, singt und Gitarre spielt.

2016 Markt Kiosk CAS © RTG Konrad

So ein Projekt in mehreren Städten ist aufwändig, das stehtaußer Frage. Wenn Sie nun Bilanz ziehen, in welchen Bereichen konnte Ihr Unternehmen und wo die Region profitieren?

Axel Biermann: „Der Mythos Bude lebt, das hat jeder gespürt. Für die Menschen zwischen Wesel und Unna gehört der Kiosk an der Ecke zu ihrem Lebensgefühl. Wir wollten die Trinkhallen in den Fokus der Aufmerksamkeit rücken und das ist uns augenscheinlich gelungen.

Der 1. Tag der Trinkhallen am 20. August hat begeistert. Die Buden der Region standen im Zentrum der Aufmerksamkeit, waren Bühne für ein abwechslungsreiches Kulturprogramm und Anziehungspunkt für tausende Besucher von nah und fern. Nach der Veranstaltung herrschte insbesondere in den sozialen Medien reger Austausch über das Erlebte, Fotos wurden geteilt, Anekdoten erzählt und von der eigenen, persönlichen Büdchen-Tour berichtet.

Die Ruhr Tourismus GmbH freut sich natürlich auch über die positive Berichterstattung. Wir sind sehr stolz so ein gelungenes Fest entwickelt und durchgeführt zu haben.“

Was war denn Ihr Highlight beim 1. Tag der Trinkhallen?

Axel Biermann: „Mich hat vor allem begeistert, dass viele Menschen unterschiedlichster Herkunft miteinander gefeiert haben: Einheimische, Zugewanderte und Touristen von außerhalb der Region.“

Welche verschiedenen Kommunikationsmittel haben Sie genutzt um das Projekt zu bewerben? Wo erhielten Sie die größten Resonanzen?

Axel Biermann: „Der Fokus wurde auf Social Media und Pressearbeit gelegt. Hier eine Übersicht:

Aktiv Beteiligte:

  • 180 Trinkhallen-Betreiber + Mitarbeiter, Angehörige und (Stamm-)Kunden
  • 300 Akteure an den Programmtrinkhallen
  • 200 Veranstaltungsmitarbeiter (Veranstaltungsmanager, Security, Logistik etc.)
  • 40 METRO-Außendienstler und zahlreiche weitere Akteure, Partner, Projektbeteiligte und tausende Besucher
Menschen die vor einem Kiosk stehen und sich unterhalten. Zwei Menschen laufen mit Fahrrädern vorbei.

2016 Adler59 DO © RTG Stengel

Überregionale und regionale Presse

Umfassende Berichterstattung in Print/Online, Hörfunk und TV

Berichte in zahlreichen nationalen Medien zum Teil überaus ausführliche Auseinandersetzung Berichte, Interviews, Portraits, uvm.

  • Über 500 Erwähnungen in lokalen und regionalen Medien
  • Fortlaufende Berichterstattung seit Januar 2016
  • Alle 50 Programm-Buden und viele weitere wurden in der Berichterstattung aufgenommen
  • Online-Kommunikation auf Ruhr-Tourismus.de, Facebook, Twitter und Instagram

Entwicklung eines ganzheitlichen Marketing-Konzeptes:

  • Sammelalbum & Sammelbilder
  • Informationsangebote & Werbung (Website, Flyer, Postkarten, Buttons, Plakate, Direktansprache, Großflächenplakate, etc.)
  • Dekomaterial für Veranstaltungstag (Plakate, Hocker, Flaschenöffner, Wimpelketten, Luftballons, Bierbänke, Tischaufsteller, Fahnen, uvm.)“

(Stand September 2016)

Herr Biermann, die Trinkhallenkultur wurde bei diesem Projekt als Alleinstellungsmerkmal genutzt. Inwieweit haben Sie weitere Ideen, unseren Ruhrpott noch attraktiver für Touristen und Einwohner zu machen?

Axel Biermann: „Er ist ja eigentlich schon sehr attraktiv. Unsere Hauptaufgabe besteht darin, die immer noch bestehenden Vorurteile abzubauen. Das geht am besten damit, dass viele Besucher hier direkt unsere Region erleben und dann positiv darüber berichten. Wir arbeiten aber auch weiter an unserem touristischen Angebot: Als nächstes wollen wir unser riesiges Radwegenetz, das auf ehemaligen Bahntrassen entstanden ist, noch gezielter vermarkten.“

Zum Schluss noch die entscheidende Frage. Gibt es nächstes Jahr den 2. Tag der Trinkhallen mit ähnlich großartigen Veranstaltungen?

Axel Biermann: „Der erste Tag der Trinkhallen war ein großer Erfolg. Wir erhielten fast ausnahmslos positive Resonanzen. Ob und wann der nächste Tag der Trinkhallen stattfinden wird, kann zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht gesagt werden. Da die Veranstaltung aus Nachhaltigkeitsmitteln der Kulturhauptstadt Ruhr 2010 finanziert wurde, kann dies nur gemeinsam mit den Projektpartnern Regionalverband Ruhr und dem Land Nordrhein-Westfalen entschieden werden.“

Vielen Dank für das interessante Gespräch! Ich denke wir können alle auf die nächsten Projekte gespannt sein.

https://youtu.be/ZJUEet91u7I