Drei Eier die in einem Eierkarton liegen, und aufgemalte geschockte Gesichter haben. Davor ein kaputtes Ei

Bild: Gribanov – Fotolia.com

Es sind Bilder, die man nicht mehr aus dem Kopf bekommt – obwohl die Motive teilweise bereits in den 1990ern plakatiert wurden:

Mit Fotos von Aidskranken, sich küssenden Geistlichen oder der blutverschmierten Kleidung eines Kriegsopfers machte ein italienischer Modekonzern über viele Jahre hinweg auf schockierende Weise auf seine Marke aufmerksam.

Für welche Unternehmen kann es interessant sein, die Grenze von der emotionalen zur schockierenden Werbung zu überschreiten? Worin liegt überhaupt der Sinn, seine Kunden zu erschrecken, aufzurütteln und zu schockieren?

Die Medienpräsenz von eingangs erwähnter Kampagne schien ihre Wirksamkeit zu untermauern. Schließlich kommt es nicht alle Tage vor, dass Anzeigenmotive kostenlos in weiteren Medien verbreitet werden.

Auf der anderen Seite war die Empörung in der Öffentlichkeit groß, und einige Publikationen weigerten sich, die Motive als Anzeige zu drucken. Eine solche Marketingstrategie birgt also Chancen und Risiken in sich.

Der Duden definiert das Verb „schockieren“ als den Versuch, „bei jemandem heftig Anstoß“ zu erregen oder „jemanden (besonders durch etwas, was in provozierender Weise von den gesellschaftlichen Normen abweicht) in Entrüstung“ zu versetzen.

In dieser Definition ist bereits erklärt, für welche Unternehmen und Marken Schockwerbung sinnvoll sein kann: Wenn zum Beispiel ein Produkt durch sein Design gegen Konventionen verstößt. Wenn die Attitüde einer Marke zur Provokation neigt. Oder wenn zu den Markenwerten Andersartigkeit, bedingungsloses Freiheitsgefühl und eine rebellische Lebensweise gehören.

Das bringt uns auch bereits zur Zielgruppe: Schockierende Werbung wird immer eine junge, aktive, risikobereite, kritische und lebenshungrige Zielgruppe ansprechen – während sie alle anderen potentiellen Kunden (vor allem das Establishment) rigoros ausschließt.

Das kann eine Marke exklusiver und bei den gewünschten Kunden begehrter machen sowie die Kundenbindung intensivieren – ihr aber auf der anderen Seite einen weiteren Zielgruppenausbau erschweren.

Ideal, und das zeigt auch das Beispiel zu Beginn, lassen sich Shock-Kampagnen in den Bereichen Mode und Lifestyle einsetzen. Hier geht es schließlich darum, die Sprache einer eng gesteckten Zielgruppe zu sprechen, die man bei manchen Marken schon als verschworene Gemeinschaft bezeichnen kann. Eine Gemeinschaft übrigens, in die man sich durch Erwerb der verbindenden Insignien regelrecht einkaufen kann.

Schockierende Werbung kann hier das Markenprofil schärfen, klare Zeichen setzen und zu einem deutlichen Statement von Konsumgut und Konsumenten werden. Sie ist dabei gänzlich frei von wirtschaftlichen Überlegungen wie dem Marketing-ROI und dient rein der Imagebildung.

Beinahe schon typisch für den Einsatz von Schockwerbung sind auch die Bereiche Gesundheit, Sicherheit und NGOs.

Durch die Darstellung von verstörenden oder zum Nachdenken auffordernden Inhalten kann man – im wahrsten Sinne des Wortes – die Augen für ein wichtiges Thema öffnen. Dabei ist jedoch Fingerspitzengefühl gefragt: Zynismus und Bösartigkeit werden von potentiellen Kunden so gut wie nie toleriert, wie ehrbar das eigentliche Ziel auch sein mag.

Auch über die Positionierung solcher Werbeaussagen sollte nachgedacht werden: Wer mit seiner Werbung provozieren möchte, muss sich sicher sein, ob er dies wirklich einer breiten Öffentlichkeit zumuten oder besser in Medien mit einem definierten Publikum, wie etwa Special Interest-Magazinen, verbreiten möchte.

Auch bei Werbeflächen im Straßenverkehr sollten (ablenkende) Motive verantwortungsvoll gewählt werden.

Es darf nicht unerwähnt werden, dass Schockwerbung an und für sich kein rechtliches Problem darstellen muss – die Gratwanderung entlang der Grenzen des guten Geschmacks kann aber auch in die falsche, also rechtlich angreifbare, Richtung führen.

Wenn aus Provokation und Verstörung eine Werbeaussage wird, die Angst schürt, Minderheiten dem Spott aussetzt oder rassistisch wird, ist diese Marketingmaßnahme nicht nur unseriös, sondern sogar unlauter.

Für eine Anzeige eine Rüge des Werberats oder eine Abmahnung durch einen Wettbewerber zu kassieren, ist nicht selten ein inszeniertes PR-Mittel, um ein „Bad Boy“-Image aufzubauen. Die dabei zum Einsatz kommenden Mittel müssen aber sehr genau durchdacht werden und sollten niemals bestimmte gesellschaftliche Grenzen überschreiten.

Das Textilunternehmen, von dem eingangs die Rede wahr, hat sich übrigens nach einigen Jahren von dem Künstler getrennt, der bei der umstrittenen Kampagne federführend war.

Die Gründe können vielfältig sein – vielleicht war das Unternehmen der vielen Prozesse müde, vielleicht sank das Image, während die Aufmerksamkeit stieg. Oder es ist eben doch so, dass auch die scharfe Marketingwaffe „schockierende Werbung“ irgendwann stumpf wird.

Fazit:

Schockierende Werbung kann, je nach Branche und Zielgruppe, nicht nur ihre Berechtigung haben, sondern die bessere Wahl für wirksame Werbung und anhaltende Imagebildung sein.

Das Thema ist jedoch komplex; vom passenden Werbeumfeld über einen zu erwartenden Imagewandel bis hin zu rechtlichen Auswirkungen müssen zahlreiche Faktoren beachtet werden: damit aus einem schockierenden Spot kein Schock für die ganze Marke wird.

Hilfreich ist sicher auch ein Gespräch mit Ihrem Mediaberater, der über seine Erfahrungen mit Schockwerbung berichten kann.