Marxloh, Schimanski, Stahlindustrie: Viele Assoziationen schießen einem beim Stichwort Duisburg durch den Kopf. Mode gehört nicht dazu. Jungdesignerin Anna Termöhlen widerspricht: „Duisburg kann Mode.“

Die Jungdesignerin und AT-elier-Besitzerin Anna Termöhlen muss es wissen. Das Mode- und Kommunikationsdesign-Studium führte sie nach Düsseldorf, erste praktische Erfahrungen sammelte sie in Antwerpen und London. Dennoch entschied sich Anna Termöhlen vor fünf Jahren ganz bewusst dafür, den Modemetropolen den Rücken zu kehren und sich in ihrer Heimatstadt selbstständig zu machen. Warum Sie sich für Duisburg als Firmenstandort entschieden hat und warum Duisburg wie ein Sweatshirt ist, hat mir die 29-Jährige in ihrem AT-elier am Neudorfer Ludgeriplatz erzählt.

Was bedeutet Ihnen Duisburg?

Designerin Anna-Franziska Termöhlen Foto: Ingo Otto / FUNKE Foto Services

Anna Termöhlen: „Pottliebe trifft es wohl am besten. Duisburg ist meine Heimat. Hier bin ich geboren und aufgewachsen. Nach meinem Studium musste ich für den Weg in die Selbstständigkeit einen Businessplan aufstellen. Schnell zeigte sich, dass Wohn- und Arbeitsraum für mich in Düsseldorf nicht bezahlbar sind. Darüber hinaus ist mir Düsseldorf zu chic, zu glatt. Dort steht das Prestige im Vordergrund. Eigentlich ist die Modebranche ja zum Kotzen, ist furchtbar eitel und nimmt sich selbst viel zu ernst. Dabei entwerfen wir doch nur puren Luxus, wir retten doch keine Menschenleben. Diese Sichtweise entspricht mir und meiner Arbeit nicht.

An Duisburg liebe ich die Brüche. Die Stadt ist nicht auf den ersten Blick schön, hat aber wunderschöne Plätze wie den Innenhafen, den Kaiserberg, den Stadtteil Duissern oder den Dellplatz. Ich mag die Kontraste, die Vielschichtigkeit. Wenn ich Freunden von außerhalb die Stadt zeige, staunen sie immer, wie viel hier los ist, was es hier alles zu entdecken gibt. Deswegen finde ich den schlechten Ruf der Stadt eigentlich ziemlich cool – man kann die Leute, die mit diesen Vorurteilen im Gepäck anreisen, so leicht vom Gegenteil überzeugen. In London zum Beispiel habe ich mich immer fremd gefühlt. Allen Leuten, die ich dort traf, ging es nur ums Business, alle hetzten durchs Leben, sogar gegessen wurde im Gehen. Hier sind die Menschen bodenständig, geerdet, gelassener. Ich freue mich außerdem immer, wenn ich durch die Stadt laufe und gut gekleidete Leute sehe – weil es hier eben nicht selbstverständlich ist.”

Spiegeln sich all diese Eigenschaften auch in Ihren Kollektionen wider?

Anna Termöhlen: „Für mich spiegelt Mode immer das Leben wider und damit auch meine Sicht auf das Leben in dieser Stadt. Meine Mode ist bodenständig, denn sie ist zwar raffiniert, vor allem aber auch tragbar, funktional und alltagstauglich. Sie ist auf den ersten Blick schlicht und schnörkellos, ohne Chichi. Tatsächlich ist aber jedes Teil durch kleine Details vielseitig und wandelbar und kann so zu (fast) jedem Anlass getragen werden. Zum Beispiel das Kleid mit den seitlichen Zipfeln, das tagsüber ganz lässig getragen werden kann. Wenn man diese Zipfel aber wie einen Gürtel zurückbindet, wirkt es gleich viel eleganter und figurbetonter, sodass man darin auch für Abendveranstaltungen gut gerüstet ist.

Was inspiriert Sie?

Anna Termöhlen: „Ich spiele gerne mit Kleidung, stöbere viel in Vintage-Läden und auf Flohmärkten, weil ich dort noch Originalschnitte finde, auf deren Basis ich dann etwas völlig Neues schaffen kann. Ich stelle die Dinge gerne im wahren Sinne des Wortes auf den Kopf, schaue zum Beispiel, was passiert, wenn man eine Jacke „falsch“ knöpft, den Arm bei einem Shirt durch den Halsausschnitt statt durch den Ärmel steckt. Dadurch entstehen ganz neue Geometrien und auch Asymmetrien, die ich nutze.

Und klar – auch die Stadt inspiriert mich. Bei meiner Kollektion „Pott-à-porter“ habe ich zum Beispiel Elemente der Industriekultur verwendet, abstrakte Schornsteine als Satinstreifen auf Shirts appliziert. Für meine Kollektion „Surfake“ – ein Wortspiel aus Surface (Oberfläche) und Fake (Fälschung) – habe ich mir die Fassaden der Stadt genauer angeschaut und wollte mit meiner Kollektion quasi dahinter schauen. Etwa mit der Viskosebluse, die ein gardinenähnliches „Fenster“ aus Baumwollspitze hat, durch das sich erahnen lässt, was sich dahinter verbirgt. Meine Kollektionen erzählen immer eine Geschichte. Mit dem Entwerfen der einzelnen Stücke beginne ich immer erst dann, wenn das Konzept steht.”

Ihr Laden hat keine Innenstadtlage und somit wahrscheinlich wenig Laufkundschaft. Wäre da ein Ladenlokal in der City nicht von Vorteil?

Anna Termöhlen: „Auf keinen Fall! Ich liebe diesen Platz und finde, dass sich das Viertel gerade vielversprechend entwickelt. Nach und nach lassen sich hier immer mehr interessante und mitunter alternative Gewerbetreibende nieder. Lauter kreative Nachbarn, die zeigen, dass man in dieser Stadt einiges auf die Beine stellen kann. Außerdem wohne ich gleich nebenan. So gehen Arbeit und Privatleben fließend ineinander über – was mir gefällt, weil ich diese Trennung auch im Kopf nicht vollziehe. Entwerfen und Nähen – das findet in meiner Wohnung statt. Das ja recht kleine Ladenlokal dient in erster Linie als Showroom. Aber im Schaufenster steht meine Handynummer. Wer möchte, ruft mich an, und dann komme ich einfach schnell runter in den Laden. Übrigens ein Konzept, das hier prima funktioniert. In Düsseldorf würde keiner anrufen – da würden die Leute vor verschlossener Ladentür gleich wieder auf dem Absatz kehrt machen.”

Welche Zielgruppe erreichen Sie mit Ihrer Mode?

Anna Termöhlen: „Derzeit ist meine typische Kundin zwischen 35 und 60 Jahre alt, legt Wert auf gute Schnitte und hochwertige, nachhaltige Materialien. Ich finde das fast ein bisschen schade, dass nicht auch mehr jüngere Frauen hereinschauen. Denn dafür, dass bei mir jedes Stück ein handgefertigtes Unikat ist, sind meine Produkte sehr preiswert. Das derzeit teuerste Stück ist ein Wollwintermantel für 350 Euro, den man jahrelang und täglich tragen kann. Ich verstehe nicht, dass Frauen für ein Brautkleid, das sie nur einmal im Leben tragen, ohne zu zögern mehrere tausend Euro hinblättern, während sie bei der Alltagskleidung eher nach der Devise „Viel für wenig Geld“ verfahren. Ich würde mir wünschen, dass die Menschen wieder weniger auf Masse und mehr auf Qualität und Klasse setzen.”

Warum können Sie Ihre Kreationen so preiswert kalkulieren?

Anna Termöhlen legt bei ihren Entwürfen viel Wert auf Wandlungsfähigkeit. „Ein Kleidungsstück sollte nicht den Anlass vorgeben, zu dem es getragen werden kann.“ Foto: Ingo Otto / FUNKE Foto Services

Anna Termöhlen legt bei ihren Entwürfen viel Wert auf Wandlungsfähigkeit. „Ein Kleidungsstück sollte nicht den Anlass vorgeben, zu dem es getragen werden kann.“ Foto: Ingo Otto / FUNKE Foto Services

Anna Termöhlen: „Den wenigsten Menschen ist bewusst, was sie beim Kauf eines hochpreisigen Kleidungsstücks eines hochpreisigen Kleidungsstücks eines großen Labels eigentlich alles mitbezahlen: Marketing, Werbung, Vertrieb – das sind nur einige der anfallenden Kosten, die natürlich an den Kunden weitergegeben werden. Ich habe mich für ein sehr schlankes Konzept entschieden. Ich entwerfe selbst und fertige bedarfsgerecht, wodurch ich keine teure Überproduktion habe, die ich schon in den Endpreis hineinrechnen muss.

In meinem Showroom hängen quasi die Prototypen meiner Kollektion. Entscheidet sich eine Kundin für ein Stück, fertige ich es in ihrer Größe an, kann außerdem noch auf individuelle Wünsche eingehen. Das dauert je nach Aufwand und Kleidungsstück maximal zwei Wochen. Dadurch, dass ich neben Mode- auch Kommunikationsdesign studiert habe, bin ich meine eigene Marketingchefin, habe mein Logo selbst designt, entwerfe meine Flyer selbst – gebe nichts aus der Hand. Meine Stoffe kaufe ich am liebsten in Antwerpen beim sogenannten Stockverkoop, wo Designer hochwertige Qualitäten vergleichsweise günstig verkaufen, die sie in ihren Kollektionen nicht verwenden konnten.”

Es wird ja immer viel geschimpft, dass Duisburg besonders für jüngere Leute wenig Perspektiven bietet …

Anna Termöhlen: „Das kann ich gar nicht verstehen. Mal abgesehen von tollen Veranstaltungen wie beispielsweise dem Platzhirschfestival – hier gibt es so viele Möglichkeiten. Schon deswegen, weil alles bezahlbar ist. Wer will, hat hier große Freiheit, Dinge entstehen zu lassen, sich auszuprobieren. Da würde man in Städten wie Düsseldorf nicht zuletzt finanziell ganz schnell an Grenzen stoßen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man hier sehr viel Unterstützung erfährt, wenn man etwas unternimmt. Ich habe mich niemals großartig darum bemüht, bin aber mittlerweile in ein gut funktionierendes Netzwerk eingebunden, weil ich von Mund-zu-Mund-Propaganda profitiert habe, die wie ein Schneeballprinzip funktioniert.

So hat mich zum Beispiel jemand für die Teilnahme an der Modenschau bei der ExtraSchicht, der Nacht der Industriekultur, empfohlen. Das war für mich ein großer Erfolg. Daraufhin haben sich wieder neue Menschen mit neuen Projekten bei mir gemeldet – und so fort. Ich freue mich gerade im Moment sehr über die Kooperation mit esthétique, dem Modelabel der Duisburger Werkstatt für Menschen mit Behinderung, für das ich eine Kollektion entwerfe, die dann von den Mitarbeitern der Werkstatt gefertigt wird.”

Wenn Sie Duisburg mit einem Kleidungsstück assoziieren sollten: welches wäre das?

Anna Termöhlen: „Auf jeden Fall ein Oberteil, und zwar ein sehr vielseitiges. Eines aus pflegeleichtem Sweatshirtstoff, der außen leicht aufgeraut, aber innen sehr weich ist. Eines, das sich gut auf der Haut anfühlt.

Vielen Dank für das interessante Gespräch Frau Termöhlen!