Gender Marketing – eine strategische Ausrichtung, die in der heutigen Werbung oft zu erkennen ist. Aber was bedeutet Gender Marketing eigentlich? Zählt dazu schon die Werbung für eine Diskothek, die ausschließlich mit Partyfotos von leicht bekleideten Frauen wirbt? Oder das Versprechen des Baumarktes, mit dem neusten Rasenmäher der erfolgreichste Mann in der Nachbarschaft zu werden?

Gender Marketing beschreibt eine Form von Marketing, die das unterschiedliche Konsumverhalten von Männern und Frauen nutzt, um Produkte oder Dienstleistungen zu vermarkten. Oft wird dafür auf Geschlechter-Klischees und Stereotypen zurückgegriffen. Wo sich die Grenze zwischen Gender Marketing und veralteten Rollenbildern ziehen lässt und wie groß der Werbeerfolg tatsächlich ist, erklärt uns Prof. Dr. Susanne Stark von der Hochschule Bochum.

Prof. Dr. Susanne Stark von der Hochschule Bochum im Marketing im Pott-Interview. Foto: Privat

Prof. Dr. Susanne Stark von der Hochschule Bochum im Marketing im Pott-Interview. Foto: Privat

Frau Stark, Sie sind Professorin an der Hochschule Bochum im Bereich “Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Marketing unter besonderer Berücksichtigung von Genderfragen”. Erläutern Sie doch zunächst einmal kurz Ihr Aufgabenfeld und Ihre Spezialisierung.

Susanne Stark: „Als Professorin für das Fachgebiet Marketing lehre ich Fächer wie “Strategisches und Operatives Marketing”, “Kommunikationspolitik, insbesondere Werbung”, “Marktforschung”, “Internationales Marketing” – und so weiter. Außer in der Lehre engagiere ich mich in der Forschung – ich habe mich immer wieder mit Fragen gesellschaftlicher Werte, Kommunikation und Werbung auseinandergesetzt.

Dies häufig unter dem besonderen Blickwinkel der Genderforschung – unter anderem habe ich beispielsweise die Rollendarstellungen von Frauen und Männern in der Werbung untersucht oder die geschlechterstereotypen Darstellungen von Mädchen und Jungen.“

Nun zum Thema Gendermarketing: Wie genau wirkt sich der Ansatz des Gendermarketings auf die Gestaltung von Werbemitteln, z. B. Anzeigen, Werbespots, Plakate etc. aus?

Susanne Stark: „Gender Marketing hebt auf die Unterschiede zwischen Frauen und Männern ab – Marktforschung zeigt uns, dass Frauen und Männer zum Teil unterschiedliche Konsummuster haben. Sie zeigen unterschiedliches Interesse an Produktgruppen, geben unterschiedlich viel Geld je nach Produktgattung aus, bevorzugen verschiedene Vertriebswege, sind folglich durch unterschiedliche Strategien zu erreichen oder sind anderen Werbeargumenten zugänglich – und so weiter. Insofern werden Werbemittel auch unterschiedlich gestaltet – bilden zum Teil verschiedene Erlebniswelten ab, zeigen unterschiedliche Konsumwelten oder bedienen sich verschiedener Argumentationsmuster.“

Dieser strategische Marketingansatz wird bereits seit einigen Jahren von Unternehmen verfolgt, z. B. sprach ein bekannter Backwarenhersteller in vergangenen Werbekampagnen gezielt nur Frauen an – warum werden diese Klischees immer noch so bedient?

Susanne Stark:Gender Marketing und geschlechterstereotype Darstellung von Rollenklischees dürfen nicht durcheinander geworfen werden. Gender Marketing bietet zum Beispiel unterschiedliche Produktvarianten an – ein plakatives Beispiel: Männer bevorzugen im Parfümbereich andere Duftvarianten als Frauen.

Oder die Ansprüche an ein Auto sind je nach Lebenssituation unterschiedlich: Eine Frau und Mutter in der Familienphase braucht ein anderes Auto als ein berufstätiger Mann, wobei dies auch umgekehrt bei einem Tausch der traditionellen Rollenverteilung gilt.

Stereotype Rollendarstellungen beziehen sich einfach auf Werbung generell – man findet sie bei vielen Produkten. Sei es zum Beispiel die Rolle der klassischen Hausfrau oder die Verführerin für Frauen oder die Rolle des Berufstätigen für Männer. Stereotypen sind etwas Altes, Gelerntes, Vertrautes, bergen eine vermeintliche Sicherheit – insbesondere für ältere Zielgruppen.“

Kann man statistisch nachweisen, ob Werbemittel des Gender Marketings erfolgreicher die Masse erreichen?

Susanne Stark: „Ja, Werbeerfolgsmessung ist möglich, wobei Werbeerfolg zumeist nicht direkt an Verkaufszahlen gemessen wird, sondern an Zwischengrößen wie Bekanntheit, Sympathie oder Image einer Marke. Bei stark genderorientierter Werbung gibt es – wie bei anderen Werbeformaten auch – Beispiele für erfolgreiche und nicht-erfolgreiche Werbung.“

Gerade beim Shopping wird das Gender Marketing oft angewendet, um Geschlechter gezielt anzusprechen. Foto: Ivanko80/Fotolia.com

Gerade beim Shopping wird das Gender Marketing oft angewendet, um Geschlechter gezielt anzusprechen. Foto: Ivanko80/Fotolia.com

Lässt sich ein Unterschied in der Darstellung von Stereotypen von Männern und Frauen erkennen?

Susanne Stark: „Ja – natürlich, sonst wären es ja keine Stereotypen. Aber da ist einiges im Wandel. Werbeanalysen heute zeigen ein differenziertes Bild. Wir finden nach wie vor alte Geschlechter-Klischees, wie oben bereits angesprochen. Aber wir finden inzwischen auch moderne Rollenbilder. Es gibt mehr berufstätige Frauen in der Werbung, Frauen übernehmen mehr aktive Rollen, treten als Sprecherinnen auf, es gibt weniger sexualisierte Darstellungen, Männer werden als liebevolle Familienväter gezeigt usw. Aber dennoch: Auch die alten Rollenklischees halten sich zum Teil hartnäckig. Beispielsweise die Frau, die sich lasziv auf oder neben dem Auto räkelt oder auch der Mann als einziger Problemlöser.

Nach wie vor gibt es aber auch Fälle von diskriminierender Werbung – einfach erfasst zum Beispiel durch die Statistik des Deutschen Werberats. Die meisten Beschwerden über Diskriminierung beziehen sich nach wie vor auf Frauendarstellungen. Ich sehe allerdings die Problematik etwas subtiler. Die krass diskriminierenden, meist sexualisierten Darstellungen stoßen vielfach auf Kritik – in Zeiten von Social Media wird hier schnell Sturm gelaufen.

Es kann nicht im Interesse der Werbetreibenden sein, nicht auf der Höhe der Zeit zu kommunizieren. Problematisch halte ich die eher unterschwellig diskriminierenden Aussagen – wenn Frauen zum Beispiel nicht als Problemlöserinnen auftreten, oder wenn Frauen nur wenig tragende Rollen übernehmen, wenn sie sozial untergeordnet dargestellt werden. Das fällt oft nicht direkt ins Auge, festigt jedoch immer wieder Rollenbeziehungen zwischen den Geschlechtern, die wir gerne als überkommen sehen wollen.“

Gibt es Branchen, die besonders oft den Ansatz des Gender Marketings verfolgen bzw. die angesprochenen Klischees nutzt?

Susanne Stark: „Nun, es gibt natürlich Bereiche, die vom Wesen her stark gegendert sind – zum Beispiel die Bekleidungsbranche. Frauen geben doppelt so viel Geld für Kleidung aus wie Männer, die deutsche Frau besitzt im Schnitt 17 Paar Schuhe, der deutsche Mann nur 8 Paar. Bedenklich finde ich, dass der Markt für Kinderprodukte – sei es Spielsachen, Bekleidung, aber auch Drogerieartikel oder Lebensmittel für Kinder – so stark gegendert sind.

Man spricht von der „Rosa-Blau-Welt“ – die Piraten-Muffins für den Jungen, Prinzessin-Muffins für das Mädchen. Typischerweise sind Erlebniswelten für Jungen dominant im Bereich Technik und Abenteuer, Mädchen werden in Vorsorge, Fantasy und Betreuungszusammenhängen darstellt. Für Jungen gibt es beim Badeschaum das blaue „Sieger-Bad“, für Mädchen das rosa „Schönheits-Bad“. Vor dem Hintergrund, dass Kinder noch unfertige Persönlichkeiten sind und nach Orientierung, Halt und Normen suchen, sich fragen, wie ihre Geschlechtsidentität ist – wie sich ein „richtiges“ Mädchen oder ein „richtiger“ Junge verhält, halte ich die sture Zweiteilung für zu wenig. Die Unternehmen für Kinderprodukte sollten mehr Diversität wagen.“

Wieso ist das Konzept Ihrer Meinung nach erfolgreich, bzw. warum „stören“ sich die meisten Menschen nicht an den Klischees, die bedient werden?

Susanne Stark: „Einerseits ist das Konzept erfolgreich, weil Klischees ja ihren realen Hintergrund haben, sonst würden sie ja nicht bestehen. Frauen und Männer haben zum Teil unterschiedliche Bedürfnisse und Wünschen – diesem trägt das Gender Marketing Rechnung. Andererseits muss man sehen, dass Geschlechterbilder immer neu konstruiert werden, die Gesellschaft entwickelt sich. Wir sprechen von „Doing Gender“. Deshalb stören sich durchaus viele Zielgruppen an überkommenen Klischees. Zum Beispiel gibt es eine Bewegung „Pink Stinks“, die sich massiv gegen die glitzernden Rosa-Welten für Mädchen wehren. Gar diskriminierende Bilder stoßen zum Teil auf erhebliche negative Resonanz.“

Wie wird sich Gender Marketing in den nächsten Jahren verändern? Sehen Sie eine Ablösung dieser Werbung durch personalisierte Werbung, damit die Zielgruppe noch treffsicherer erreicht werden kann als durch Stereotypen?

Susanne Stark: „Es ist davon auszugehen – und wünschenswert, dass sich die Rollenvielfalt in der werblichen Kommunikation ausweitet. Denn das ist die gesellschaftliche Entwicklung – Rollenklischees brechen auf, Familienstrukturen wandeln sich, wenn Marketing diesem nicht folgt – sei es in der Werbung oder in Angeboten, sind die Unternehmen nicht mehr auf der Höhe der Zeit und erreichen ihre Zielgruppen nicht. Marketing und Werbung sind immer Spiegel der Gesellschaft – aber eben auch Mit-Gestalter.

Unabhängig von dieser Zielgruppenorientierung ermöglicht unsere digitalisierte Welt eine Zunahme individualisierter Werbung. Zum Beispiel konnte man früher Werbebotschaften im Internet nur breit streuen – heute kann man sie durch Targeting gezielt steuern. Menschen legen breite Spuren im Netz, sie sind in sozialen Netzwerken, geben Social Signs, kaufen online. Beim Kauf im Geschäft nutzen sie Payback-Karten. In Zeiten von Big Data sind Möglichkeiten für ein individuelles Profiling breit gegeben. Dies kann als Basis für individualisierte Werbung genutzt werden.“

Vielen Dank für das interessante Gespräch!

Gender Marketing heißt also nicht automatisch veraltete Rollenbilder und Klischees, auch wenn diese trotzdem noch in der Werbung zu finden sind. Dass Männer und Frauen unterschiedlichen Konsummustern folgen, die unterschiedlich beworben werden, ist sinnvoll und legitim. Trotzdem sollte Unternehmen darauf achten, die verschiedenen Geschlechter nicht zu diskriminieren oder Stereotype weiter zu unterstützen. Bleibt zu hoffen, dass sich Prof. Dr. Starks Zukunftswünsche verwirklichen und die Rollenvielfalt unserer Gesellschaft sich auch in unserer Werbung widerspiegelt!