Das Internet hat mein Konsumverhalten bereits verändert: Rabattcodes von Influencern laden dazu ein, Neues auszutesten. Anziehsachen werden gemütlich direkt zu mir nach Hause geliefert. Die Digitalisierung des Handels birgt viele Vorteile.

Aber wie sieht ein Zukunftsszenario für den Einzelhandel aus? Kann die Digitalisierung die Fußgängerzonen komplett ablösen? Auch wenn ich selbst sehr viel online shoppe, wäre ich sehr traurig, wenn der Einkaufsbummel komplett entfallen würde. Also habe ich mich zu diesem Thema mit einem Experten unterhalten: Prof. Dr. Christian Zich ist Professor an der Hochschule für angewandte Wissenschaften Deggendorf. Er ist Experte in den Themenbereichen Konsumverhalten, Handel und Vertrieb.

Herr Prof. Dr. Zich, Sie beschäftigen sich schon eine geraume Zeit intensiv mit dem Konsumverhalten von Menschen. Wie wird ein Gang durch die Fußgängerzonen der Republik in 10 Jahren aussehen?

Prof. Dr. Christian Zich

Prof. Dr. Christian Zich

Prof. Dr. Christian Zich: „In größeren Städten wahrscheinlich auch nicht viel anders als jetzt. Große Städte waren schon immer ein Anziehungspunkt, ein Ausflugsziel, ein Shopping-Mittelpunkt. Kleine Städte (bis 50.000 Einwohner) dagegen werden in den nächsten zehn Jahren zunehmend Schwierigkeiten bekommen, denn viele Geschäfte werden nicht mehr existieren, weil ihnen die Kunden fehlen.

In diesen Fußgängerzonen werden ein paar Textileinzelhändler und einige Spezialisten überleben. Dieser Trend ist jetzt schon deutlich sichtbar: In B- und C-Lagen stehen immer mehr Geschäfte leer, in der Zukunft wird sich der Einzelhandel nur noch in den A-Lagen konzentrieren. Um die Attraktivität der Innenstädte wiederherzustellen müssen die Stadtmarketingabteilungen in den nächsten Jahren einige zündende Ideen entwickeln.“

Wieso gehören für Sie die Fachbereiche Vertrieb und Marketing eng zusammen?

Prof. Dr. Christian Zich: „Der Gottvater der Werbung, David Ogilvy, hat diesen Sachverhalt in einen ganz einfachen Satz gepackt: If it doesn’t sell, it isn’t creative. Eine Werbung ist für mich ein Teil eines Verkaufsgesprächs, je nachdem welches Medium man betrachtet. Eine Print- oder Bannerwerbung beispielsweise ist ein Appetizer, der richtig Lust auf mehr (mehr Informationen, mehr Beratung) machen soll. In gewisser Weise ein Handshake für den Verkauf. Idealerweise sollte das Verkaufsgespräch nahtlos an den Appetizer anknüpfen und das vollenden, was die Werbung versprochen hat: Genau das richtige Produkt, mit dem man lange Spaß hat und daher den Kauf nie bereut. Wenn man nicht konsequent in solchen Ketten denkt, dann wird Kreativität in der Werbung zum Selbstzweck und erzielt nicht die richtige Wirkung.

Während früher in der prä-Onlinezeit die Aufgaben der Werbung und des Verkaufs noch ganz klar getrennt waren (man sah eine Werbung im Fernsehen oder in der Zeitung und ging dann in ein Geschäft, um das Produkt zu kaufen), wachsen diese beiden Bereiche im Internet untrennbar zusammen. In jedem Onlineshop werden bestimmte Produkte angeworben und gleichzeitig sollte eine Beratung zur Vorbereitung der Kaufentscheidung stattfinden.

Sieht man sich jedoch die meisten Onlineshops an, so gibt es hier sehr große Defizite. Dies beginnt beispielsweise schon bei der Bestimmung der richtigen Größe von Kleidungsstücken oder Schuhen. Positive Beispiele findet man leider viel zu selten. Vor kurzer Zeit bin ich in einem Shop über einen Assistenten gestolpert, der mich ziemlich detailliert gefragt hat, welche Jeans ich momentan trage und welche Größen mir sehr gut passen. Nach der Beantwortung dieser Fragen machte er mir einen Vorschlag für die richtige Größe. So etwas sollte der Standard sein und nicht die Ausnahme. Eine konsequente Integration von Werbung und Vertrieb im Onlineshop würde bedeuten, dass man die blumigen Werbeversprechen auch mit einer guten, zielgerichteten Beratung kombiniert.“

Wie haben sich die Gegebenheiten durch die Digitalisierung des Handels verändert?

Prof. Dr. Christian Zich: „Schwierig zu beantworten, da die Digitalisierung in sehr viele Bereiche eingreift. Was die meisten Unternehmen inzwischen sehr gut beherrschen, ist die komplette Digitalisierung der gesamten Liefer- und Abrechnungskette. Sehr gut kann man dies im Buchhandel sehen; wenn ein Buch im Großhandel verfügbar ist, ist es 24 Stunden später im Laden. Genauso schnell wie bei Amazon. Aber neben der Optimierung der Logistik ändern sich auch die Möglichkeiten, Kunden in den eigenen Laden zu locken. Hier greift die Digitalisierung in die Kommunikation mit den Kunden ein. Nur ganz wenige Geschäfte spielen virtuos auf der Klaviatur der sozialen Netzwerke, oft findet sich nur eine schlecht gepflegte Homepage als digitale Visitenkarte. Hier haben sich die meisten Handelsunternehmen noch nicht auf die Gegebenheiten eingestellt.

Ein sehr gutes Beispiel habe ich einmal in einer mittelgroßen Stadt gesehen. Die Eigentümerin eines Geschäftes für teure Damenbekleidung entwickelte eine ganz einfache, aber sehr wirkungsvolle Idee, das Schaufenster der Woche. Sie kombinierte in ausgesprochen geschmackvoller Art und Weise verschiedene hochpreisige Marken und dazu passende Accessoires (Handtaschen, Tücher, etc.) und stellte diese Kombination im Schaufenster der Woche aus. Anschließend schoss sie ein Foto und stellte dies auf Facebook. Laut der Eigentümerin meldeten sich anschließend nicht wenige virtuelle Freundinnen, ließen sich die Sachen reservieren und kamen wenig später in den Laden.“

Der Einzelhandel sieht sich einer großen Online-Konkurrenz gegenüber. Was würden Sie Einzelhändlern raten, um weiterhin Kundschaft in ihre Ladengeschäfte zu locken?

Prof. Dr. Christian Zich: „Dass die Kunden scharenweise in das Internet abwandern, ist keine Neuigkeit mehr. Der Druck, etwas zu liefern, was das Internet noch nicht kann, ist meiner Meinung nach deutlich höher geworden. Gegen die Preisvorteile, die 24-Stunden-Verfügbarkeit, die bequeme Lieferung nach Hause, die Sortimentsbreite und -tiefe im Online-Handel kann der Einzelhandel nicht ankämpfen, hier hat er bereits verloren. Die Kunden lockt man dagegen eher mit dem Einkaufserlebnis, einer Kombination aus moderner Ladengestaltung, exzellenter Produktpräsentation und hervorragender Beratung. Einzelhändler, die bewusst in diese drei Bereiche investieren, sind nach wie vor erfolgreich.“

Wie wird sich das Konsumverhalten der Menschen in Zukunft weiter verändern? Inwiefern beeinflussen die digitalen Kanäle dieses aktiv?

Prof. Dr. Christian Zich: „Der Trend, weiter ins Internet abzuwandern, wird sicher noch weiter anhalten. Darüber hinaus gibt es meines Erachtens zwei ganz große Entwicklungstendenzen, die einen unterschiedlichen Einfluss auf das Konsumverhalten haben werden:

  1. Die Fortschritte in der Forschung zur künstlichen Intelligenz (KI).
  2. Das Kommunikationsverhalten der heranwachsenden Käufergeneration.

Den ersten Punkt kann man in einem einzigen Satz, gewissermaßen als Zukunftsvision, zusammenfassen: Stellen Sie sich einen virtuellen Verkäufer vor, der 24/7 verfügbar ist, nie unfreundlich und auf Millionen Käuferprofile und das gesamte Produktwissen dieser Welt zugreifen kann. Verkaufsgespräche sind nichts hochwissenschaftliches, nur eine Frage der richtigen Struktur und der richtigen Fragetechniken, gewürzt mit einer guten Portion Know-how zum Thema Entscheidungsverhalten von Menschen im Allgemeinen. Menschen wollen beraten werden, idealerweise natürlich sehr gut beraten werden. Dies waren (siehe Abbildung) die Hauptgründe, wieso im Einzelhandel eingekauft wird.

Die Gründe fürs stationäre Shopping sind vielfältig. Grafik: Marketing im Pott/Daten: Prof. Dr. Christian Zich

Die Gründe fürs stationäre Shopping sind vielfältig. Grafik: Marketing im Pott/Daten: Prof. Dr. Christian Zich

Diese Beratung in Form eines KI-Verkäufers abzubilden, ist durchaus keine Zukunftsvision, sondern ist nur eine Frage der Zeit. Allerdings ist es momentan so, dass diejenigen, die Ahnung vom Verkaufen haben, im Regelfalle von den Webdesignern nicht wirklich angesprochen werden. Sollte es gelingen, den Kunden im Internetshop mit den folgenden Worten freundlich zu begrüßen „Hallo, wir haben uns schon lange nicht mehr gesehen. Hast du Lust, mit mir shoppen zu gehen? Ich hätte ein paar Dinge, die dir garantiert gefallen werden.“ Dann wird es für den Einzelhandel wirklich eng. Allerdings muss auch hier ganz deutlich gesagt werden, dass ein virtueller Verkäufer in dem Moment verloren hat, indem er zu aufdringlich und zu fordernd auftritt und eventuell Empfehlungen abgibt, über die sich der Käufer langfristig ärgern wird. Gerade hier gilt ganz besonders, dass Ehrlichkeit und ernsthafte, aufrichtige Beratung sehr lange währt; eine moderne Adaption des alten deutschen Sprichworts.

Nun zum zweiten Punkt. Wenn man sich die jungen Erwachsenen ansieht, die jetzt ihre Schulausbildung beenden und entweder das Arbeiten oder das Studieren anfangen, so wird man feststellen, dass diese Generation ein anderes Interaktionsverhalten als ihre Eltern pflegt. Zu oft sieht man zwei junge Menschen, die anstatt miteinander zu reden, sich gegenübersitzen und vertieft in die Smartphones starren. Die digitalen Kommunikationskanäle (vor allem die sozialen Netzwerke) reduzieren und ersetzen die face-to-face-Kommunikation. Was hat dies mit der Veränderung des Kaufverhaltens zu tun? Diese Generation kennt daher zu oft die Vorteile eines Beratungsgespräches nicht. Sie sind so intensiv mit dem Internet aufgewachsen, dass viele von ihnen gar nicht auf die Idee kommen, beim stationären Einzelhandel zu kaufen und dessen Beratungskompetenz in Anspruch zu nehmen.

Darüber hinaus hat dieses Kommunikationsverhalten noch einen weiteren negativen Effekt für die Innenstädte. Früher, als es das Internet noch nicht gab, ist man in die Innenstädte gegangen, um Freunde zu treffen und die Zeit totzuschlagen. Während dieses Zeitraums hatte man selbstverständlich die Möglichkeit, neben dem Eis in der Eisdiele auch noch das eine oder andere zu kaufen. Da die jungen Erwachsenen jetzt in erster Linie zu Hause sitzen und mit ihren Freunden über PC, Smartphone und Tablet kommunizieren, fällt dieser Zeitvertreib und damit auch der Kaufanreiz weg. Die große Herausforderung für die Stadtmarketingabteilungen der kleinen und mittleren Städte liegt in der Schaffung von Anreizen für die zukünftige, kaufkräftige Generation, doch mehr Zeit in den Innenstädten zu verbringen, anstatt zu Hause zu sitzen. Diese Generation zu begeistern wird noch eine sehr große Herausforderung für den Handel werden, aber eine der Überlebensstrategien in der Zukunft für den Einzelhandel.“

Vielen Dank für das interessante Gespräch!

Die Digitalisierung des Handels ist also nicht aufzuhalten. Es bleibt weiterhin die Frage, ob der Einzelhandel es schafft, für seine Kunden ein besonderes Einkaufserlebnis zu entwickeln. Dabei benötigen Sie auf jeden Fall Unterstützung des Stadtmarketings. Außerdem denke ich, dass es helfen würde, wenn sich die Einzelhändler zusammenschließen, um gemeinsam diesen Kampf zu führen.

Eine gekonnte Kombination von Online- und stationärem Handel ist ebenfalls eine Möglichkeit. Wir haben bereits in der Vergangenheit auf unserem Blog über das Click & Collect Portal in Marl berichtet.